Die neue dritte Finanzierungssäule
Der ehemalige SRG-Generaldirektor Gilles Marchand leitet an der Universität Genf neu einen Forschungsbereich zu Philanthropie und Medien. Als zusätzliche Finanzierungsquelle gewinnt die Philanthropie auch in der Schweizer Medienlandschaft an Bedeutung.
Interview veröffentlicht in „Journalist:in“ (Januar 2025) Journalistin Eva Hirschi.
Sie werden immer mehr: Stifnalismus fördern – auch in der Schweiz. Für viel Aufsehen sorgte insbesondere der im vergangenen Juli lancierte Media Forward Fund, eine Initiative von zehn Organisationen aus den drei Ländern Schweiz, Deutschland und Österreich, die mehrere Millionen Franken aus verschiedenen Stiftungen bündelt und sie für die Stärkung des Journalismus einsetzen will.
„Nun wurde auch ausserhalb der Medienwelt erkannt, dass die Finanzierung durch den Staat oder durch den Markt, sprich durch die Leserschaft und die Werbung, nicht mehr ausreicht – und diese Finanzierungskrise letztlich die Demokratie gefährden kann. Immer mehr Stiftungen, Organisationen und Mäzene stecken deshalb finanzielle Mittel in die Medien“, sagt Gilles Marchand. Der ehemalige SRG-Generaldirektor leitet seit März die neu kreierte „Initiative Medien und Philanthropie“ am Zentrum für Philanthropie der Universität Genf. Diese soll das philanthropische Engagement im Medienbereich genauer unter die Lupe nehmen.
Ein kritischer Blick auf die Geldgeber
Das Ziel des Zentrums der Universität Genf sei es nicht, neue Geldquellen zu erschliessen: „Aufgrund unserer Position streben wir keine direkte Finanzierung an, sondern wollen das Interesse an diesem Thema wecken und die Kriterien für philanthropisches Engagement klären. Uns ist wichtig, ein neutrales Urteil von aussen zu fällen und damit einen Beitrag zur Demokratie zu leisten“, sagt Nicolas Duvoux, Direktor des Zentrums für Philanthropie. Denn: „In der Schweiz gibt es sehr viele Stiftungen, philanthropische Akteure spielen eine wichtige Rolle. Sie tragen zur demokratischen Vitalität bei, unterstützen das Vereinswesen, fördern innovative Initiativen und begünstigen das Wirtschaftsgefüge.“
Das Zentrum setzt sich bereits seit 2017 mit Philanthropie und damit verbundenen Themen wie soziales Unternehmertum, die Governance von Stiftungen und wirkungsorientiertes Investieren auseinander. Dafür arbeitet es mit grossen philanthropischen Stiftungen von internationaler Reichweite zusammen, wie etwa der Rothschild-Stiftung, der Fondation Leenaards oder Mercator. Im Rahmen des Schwerpunkts auf Interaktionen zwischen Philanthropie und Demokratie der neue Bereich Medien. „In Nordamerika, aber auch in Osteuropa sieht man den starken Einfluss von philanthropischer Finanzierung, teilweise durch Oligarchen mit eigenen Stiftungen. Wir wollen all diese Erfahrungen sammeln und analysieren“, sagt Duvoux.
Bekannte Beispiele für einflussreiche Stiftungen sind etwa die Bill & Melinda Gates Foundation oder die Stiftung Open Society Foundations von George Soros. Letztere verfügt über rund 22 Milliarden Dollar; allein im Jahr 2021 hat sie rund 1,5 Milliarden Dollar an Politikerinnen und Politiker, NGOs und Organisationen auf der ganzen Welt verteilt – auch an Medien. Dies ist nicht unumstritten. Das Ziel der Stiftung sei die Förderung von Meinungsfreiheit, Transparenz, Gerechtigkeit und Gleichheit. Gleichzeitig gibt es aber auch Kritik an George Soros’ Macht, die bis hin zu Verschwörungstheorien reicht.
Kein Ersatz, sondern eine Ergänzung
Gilles Marchand wird sich zusammen mit einem Team von Post-Doc-Studierenden dem Verhältnis von Philanthropie und Medien widmen. Einerseits gehe es um die
wissenschaftliche Forschung zu Medien als gemeinnützigem Gut. Andererseits soll eine Sammlung an Fallbeispielen entstehen von Medien, die teilweise oder ganzheitlich philanthropisch finanziert sind, etwa in Nordamerika und Europa. Dafür arbeitet die Universität Genf mit der Wirtschaftshochschule HEC Montréal zusammen.„Insbesondere in den USA, Kanada oder auch in Skandinavien ist die Philanthropie schon längst Bestandteil der Finanzierung von Medien“, so Marchand. Das Zentrum will Stiftungen begleiten, die sich in der Medienförderung engagieren möchten. Die Idee sei aber nicht, dass philanthropische Mittel zum neuen Businessmodell der Medien avancieren, sondern dass diese mittel- oder langfristig selbst rentabel werden. Allerdings bräuchten Medien in dieser Phase des Strukturwandels Zeit, um sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. „Philanthropische Gelder können Innovationen und Investitionen ermöglichen, damit die Medien sich neu erfinden und einneues ökonomisches Gleichgewicht finden“, sagt Marchand.
Kantone als neue Akteure In der Regel sind es Stiftungen, die Medien unterstützen. In der Schweiz wurde 2020 sogar erstmals eine Zeitung von einer Stiftung aufgekauft: Die Westschweizer Tageszeitung „Le Temps“ ging an Aventinus, hinter welcher die Fondation Wilsdorf, die Fondation Jan Michalski und die Fondation Leenaards sowie Genfer Mäzene stehen. „Die Stiftung Aventinus hat den Weg geebnet. Dies kam in einem entscheidenden Moment – sonst würde die Westschweizer Zeitung ,Le Temps‘ heute vielleicht nicht mehr existieren“, so Marchand.
Aus seiner Sicht sind in der Schweiz aber beispielsweise auch die Kantone interessante potenzielle philanthropische Akteure. Gerade in der Westschweiz haben mehrere Kantone Gelder für die Medienförderung gesprochen. Deren Umsetzung aber unterscheidet sich stark. „Für die Kantone, aber auch für andere Akteure stellt sich jeweils die Frage der Unabhängigkeit. Hierfür möchten wir Hand bieten“, sagt Marchand.
Konkret sollen am Zentrum neben der Forschung auch Werkzeuge und Prozesse entwickelt werden, insbesondere im Bereich Governance und nachhaltige Finanzierung. „Wir möchten unter anderem eine Charta erarbeiten mit Regeln für die gute Governance von Stiftungen, aber auch für die Medien, so dass diese unabhängig bleiben“, sagt Marchand. Nur so könne es gelingen, auch das Vertrauen in die Medien zurückzugewinnen.
Auch Unternehmen im Visier
Doch philanthropische Medienförderung könne auch von wohlhabenden Einzelpersonen, Organisationen oder Unternehmen kommen – selbst von Banken, sagt Marchand: „Im Prinzip umfasst dies alle Geldgeber, die keine hohe Kapitalrendite erwarten.“Journafonds, ein Fonds für die finanzielle Unterstützung von Recherchen in der Schweiz, hat in der Vergangenheit einmalig je 10.000 Franken von der Schweizerischen Post und von Google erhalten. Noch sei es aber äusserst schwierig, in der Schweiz Unternehmen zu einer Unterstützung zu bewegen, sagt Generalsekretär Jean François Tanda: „Wir würden uns von Corporate Citizens – was Unternehmen ja sind – beispielsweise aufgrund ihrer Corporate Social Responsibility, also ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, durchaus breitere Unterstützung für Journalismus und damit für die Stärkung der Demokratie wünschen.“
Für Gilles Marchand könnte sich dies ändern: „Auch grosse Unternehmen merken, dass ein funktionierendes Mediensystem in ihrem Interesse ist.“ Er sieht die philanthropische Finanzierung denn auch nicht einfach als temporären Trend: „Die Qualität und Vielfalt der Medien ist ein Eckpfeiler einer gut funktionierenden demokratischen Gesellschaft. Insbesondere die Schweiz mit ihrer sprachlichen und kulturellen Vielfalt ist auf eine vielfältige Medienlandschaft angewiesen“, sagt Marchand. „Es braucht deshalb neue Formen der Finanzierung.“
EVA HIRSCHI
SchweizerJournalistin_202501_Die neue dritte Finanzierungssaule
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